Nino
Erwartungsvoll blicke ich seit einer halben Stunde in die nicht enden wollenden Gesichter von Touristen und Geschäftsleuten aus aller Welt. Habe ich ihn vielleicht übersehen hinter einem der gigantischen Rollkoffer die die meisten hier hinter sich her ziehen? Hat ihn einer der geldgeilen Taxifahrer gegen seinen Willen zu überhöhtem Preis in sein Fahrzeug gezogen und ins Nirgendwo gefahren? Bin ich einfach nur zu ungeduldig? Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnet sich die zweiflügelige Schiebetür für einen jungen Mann, den man nicht so schnell übersehen kann. Er passt so gar nicht ins Bild des schicken International Airport Rios. Doppelt geschnürte schwere Lederstiefel, protektorenbewährte sandfarbene Biker Hose, breitschultrige Cordurajacke, einen groben Geländehelm mit Staubschutzbrille in der Hand und einen schlichten schwarzen Seesack lässig unterm Arm geklemmt. Wahrlich, ihn hätte ich wohl nicht übersehen können. Wir umarmen uns wie nur Brüder es tun. Der Helm sitzt kurze Zeit später da wo er hingehört und der Seesack ist hinter dem Rücken verzurrt. Die Dunkelheit ist nun schon seit mehreren Stunden über Rio de Janeiro hereingebrochen. Zwischen uns und dem wohlverdienten Schlaf liegen drei Dutzend Kilometer auf dem doch etwas überladenen Mopped durch den belebten Verkehr. Möge der Spaß beginnen.
Einige Zeit später stehen wir geschafft, aber unversehrt vor dem Tor unserer Gastgeber. Ein kleiner Eindruck vom lebhaften Treiben der nächtlichen Stadt reicht für heute. Nach einer kurzen Vorstellrunde fallen wir ins Zelt.
Der Tag beginnt mit einem fertig gedeckten Frühstückstisch. Die Hausherren sind schon auf dem Weg in die Stadt, haben es sich aber nicht nehmen lassen, das Essen rauszustellen und den Kaffee vorzukochen. Wir gönnen uns heute einen entspannten Tag in Niteroi. In den nächsten Wochen wird Joana hinter mir sitzen und Nino die zweite Maschine fahren. Durch seine lange Nordamerikareise und anschließende Sportverletzung ist er nunmehr seit fast 18 Monaten kein Motorrad mehr gefahren. Langsam kann er sich die ersten 800 Meter eingewöhnen bis wir die
Hauptverkehrsstraße erreichen. Dann gehts rund. Rechts und links nur wenige Zentimeter Platz wird zwischen den stehenden oder fahrenden Autos durchgeprescht. Auf den drei bis vierspurigen Straßen mit den Randstreifen, Fahrradwegen und gelegentlichen Haltebuchten ergeben sich mindestens fünf bis sechs mögliche Fahrspuren für das Motorrad. Der Blick für den schnellsten Weg will gelernt
sein. Für den Anfang reicht es, alle Hemmungen abzulegen und immer auf die Spur zu kommen, auf der es voran geht. Es ist wichtig, seine volle Aufmerksamkeit nach vorne zu richten und sich ohne Spiegel einfach darauf zu verlassen, dass man immer der Schnellste ist. Schaut man nur einen Sekundenbruchteil in den Rückspiegel, klebt man am Heck irgendeines Fahrzeugs, das beim Spurwechsel auch nicht in den Spiegel geschaut hat. Augen immer geradeaus, zwei Finger immer an der Bremse und die Augenwinkel stets auf die großen Fahrzeuge, Busse und Lkws geheftet, deren Fahrspurwechsel spontan erfolgt und schnell zu Quetschungen der Beine oder ungewollten Bremsmanövern führt. Alle anderen Fahrzeuge zwingt man mit seiner bloßen Anwesenheit und natürlich der Hupe zum Bilden der nötigen Motorradgasse. Autospiegel klappen bei genug Wucht auch nach vorne weg und die Knieprotektoren der Textilhose geben beim Fahrspurkampf mit den anderen Biker Sicherheit. Nur nicht die Nerven verlieren, wenns mal eng wird. Was für uns schon Routine ist, verlangt von Nino gleich alles ab. Auf jeden Fall sorgt die brasilianische Fahrweise für eine überaus schnelle Eingewöhnung.
Wir fahren auf einen nahegelegenen Hügel, von dem wir uns einen guten Blick über die Bucht und das gegenüberliegende Ufer versprechen. Eine gewundene Asphalt- und Kopfsteinpflasterstraße führt auf eine kleine Startrampe für Paraglider, von welcher aus wir tatsächlich ein wunderschönes Panorama genießen. Man erzählt uns, Niteroi werde in Rio wegen des schönen Ausblicks die lachende Stadt genannt. Jeden Tag sehe man Rio von der schönen Seite und in Distanz zu all den Problemen, die im Stadtbild erscheinen, wenn man dichter ran geht. Von hier oben lässt sich dieses Sprichwort gut nachvollziehen. Wir kommen dennoch nicht drumherum uns ein paar der Reiseführerhighlights, zumindest die kostenlosen, gemeinsam anzusehen. Wir trinken ein kühles Wasser am Copacabana Strand, schauen uns Rio von oben an am Aussichtspunkt “Vista Chinesa” und essen gepflegt in einer der Seitengassen im Stadtzentrum.
Am Abend dann kommen wir etwas geschafft durch den dichten Verkehr zurück und müssen feststellen, dass noch ein ungeplanter Geburtstag auf uns wartet. Die Familie Novellini begeht heute den 84. Geburtstag ihrer liebsten “Vovo” (Großmutter). Wir werden ungesehen von der Großmutter eingeladen, das können wir auf keinen Fall ausschlagen. In einem gemütlichen italienischen Restaurant wird die Party gefeiert. Haben wir bei diesem Alter doch eher eine Familienfeier im kleinen Kreise erwartet, so wird uns spätestens bei den drei reservierten Tafeln und den acht Kellnern bewusst, dass die rüstige Dame keinesfalls vorhat, es ruhiger angehen zu lassen. Überschwänglich werden wir begrüßt und sogleich erfolgt ein kurzes “who is who” (Wer ist wer?) der Familie Novellini. Wir haben Glück noch nicht so bewandert im Portugiesischen zu sein, als dass wir all die Verwandtschaftsverhältnisse verstehen könnten, geschweige denn die meisten der Namen überhaupt wiederholen können. Es wird uns deshalb nachgesehen, dass wir den Stammbaum danach nicht blind malen können. Am Wichtigsten ist der Oma, dass wir verstehen, dass alle uns willkommen heißen! Was wir außerdem verstanden haben ist, dass hier vier Generationen der Familie vertreten sind. Es gibt ein fliegendes Pizzabuffet. Die Kellner laufen mit Blechen voll verschiedener Pizzen um die Tische und wenn etwas gut aussieht, nimmt man es sich. Das Spiel geht so lange bis man platzt. Kann man sich dann kaum noch bewegen, wird alles abgeräumt und die Kellner legen sich nochmals ins Zeug mit Pizzakreationen, die wir uns so nicht erträumt hätten, allerhöchstens aus einem von Ninos Träumen könnten ein paar dieser süßen Ideen stammen. Pizza mit Nutella, mit Schokolade, mit Mangosoße und Ananasstückchen, mit geschmolzenen Smarties, mit Bananensirup und Kokosstückchen und immer so weiter. Wer denkt, er würde nichts mehr reinbekommen, wird bei der Auswahl eines Besseren belehrt und mobilisiert alle Platzreserven. Ich muss tatsächlich nochmal den Insulinpen zücken und etwas nachlegen bei diesem unmöglich auszuschlagenden Angebot. Während diesem Mahl und seinen vielen schmackhaften Erlebnissen erfahren wir ein Stück brasilianische Familienkultur. Die Plätze werden oft gewechselt an diesem Abend und lange überfällige Geschichten werden erzählt. Wir fühlen uns trotz der Sprachhürde in der Mitte der Familie aufgenommen und ernten von allen Seiten Schulterklopfen und Anerkennung für unsere Reise und unsere Mühen stets ein bisschen mehr zu verstehen.
Es kommt der Tag des Abschieds. Wir möchten weiter, weg von der Küste, hinein in die Kornkammer Brasiliens: Minas Gerais. Hier, so erzählt man uns, verdichten sich viele der Vorzüge Brasiliens auf einen Staat. Ungeschlagene Gastfreundschaft, wilde Landschaften, günstiges und vorzügliches Essen. Gut, dass unser Kumpel Leo aus Futaleufú, man erinnert sich vielleicht an den etwas waghalsigen
Brasilianer, der mit seiner Tenere und einem Rucksack durch Patagonien reiste, genau im Herzen dieser Kornkammer wohnt. Genau dort soll unsere entspannte Tour nun hingehen, nach Belo Horizonte, der schönen Hauptstadt Minas Gerais. Drei Tage fahren wir durch das grüne und bergige Hinterland Rios und Minas Gerais. Wir halten uns fern von den Hauptstraßen und lernen die ländlichen Gegenden
Brasiliens kennen. Es bleibt nicht aus, trotz der schweren Beladung für die kleinen Maschinen ein paar steile Offroadpassagen zu fahren. Bei der zweiten etwas sandigen Piste schaue ich in einer engen Kurve in den Rückspiegel und sehe nur noch Staub. Wir drehen rum und mit dem Verziehen der Staubschwaden wird deutlich, dass Nino den lange überfälligen ersten Sturz hinter sich gebracht hat. Von nun an
stürzt es sich viel leichter. Nino kann es kaum fassen und schaut noch ungläubig auf das Bike, bis wir es aufheben. Er ist noch in der europäischen Denkweise gefangen und nimmt an, dass das Bike nun kaputt ist und wir eine Werkstatt brauchen oder er sich etwas getan hat. Es geht ihm natürlich gut, auch das frisch operierte Knie hat nichts abbekommen. Sportler! Nach einem kräftigen seitlichen Tritt vors Vorderrad
und etwas Drehen an der Kupplungshebelklemmung ist auch an der Maschine alles wieder in bester Ordnung. An diesem Abend sollen wir die brasilianische Gastfreundschaft einmal mehr kennenlernen. Spät fangen wir an einen Schlafplatz zu suchen, was von den vielen Zäunen am Wegesrand erheblich erschwert wird. Wir fragen an einem kleinen Hof, ob wir dort übernachten können, doch man sagt uns so dicht an der Straße sei das nicht ungefährlich und der Hof sei über Nacht verlassen. Dies soll aber keineswegs nach einer Absage klingen. Man habe ein zweites Grundstück weit weg von der Straße und dort können wir bleiben so lange wir möchten. 20 Minuten folgen wir dem Fahrzeug der jungen Gabriela über Stock und Stein bis wir auf einer kleinen Bergkuppe ohne Bewuchs ankommen. Hier sollen wir uns wie zu Hause fühlen. Wenn wir möchten, können wir morgen früh auch zum Kaffee vorbeikommen. Falls wir noch irgendetwas brauchen, sollen wir einfach anrufen. Wir sind am nächsten Morgen leider zu früh für den Kaffee und fahren direkt zum Leo. Cool wie immer kommt er nach einer Weile des Wartens in einer Bar gegenüber seines Appartements um die Ecke geschlendert. Die Bikes finden nach kurzer Diskussion mit dem Parkwächter in der Tiefgarage Platz und wir fahren verwundert bis in den vierzehnten Stock. Ein Appartement mit Ausblick in einer Anlage mit Tiefgarage, Pool, Sauna und Fitnessbereich. Das hätten wir dem immer mit der selben Jeans und dem selben T-Shirt gekleideten und häufig etwas verplanten Weltreisenden nicht zugetraut. Nachdem wir von ihm in der kleinen Fußgängerzone um die Ecke zum exzellenten Essen eingeladen worden sind, findet man uns im Saunabereich. Das lassen wir uns nicht entgehen.
Obwohl wir nicht so stadtaffin sind, geben wir Leo nach und schauen uns einen Tag in Belo Horizonte um. In einer Seitengasse der Innenstadt bekomme ich mein lang ersehntes Leder, um inspiriert von den Lederarbeiten unseres “Ledermannes” aus Paraty, ein bisschen zu nähen. Danach schlendern wir über den Großen Markt, mit vielleicht der größten Auswahl an Lebensmitteln und Haushaltswaren, die ich je gesehen habe. Von Rinderhälften über handgemachte Kaffeemühlen bis hin zu Heilkräutern. Abgesehen von der schieren Masse an Artikeln fasziniert der Markt durch die Möglichkeit alles zu testen, was man sieht. Wir probieren bestimmt 15 verschiedene Käsesorten, etwas selbstgebrannten Schnaps und zehn verschieden Kaffees. Das Mittagessen haben wir uns so gespart. Der Markt übertrifft unsere Erwartungen, Nino ist hin und weg von dem ganzen Kosten und den Häppchen an jeder Ecke, ganz zu schweigen von den frischen Kokosnüssen, aus denen man gerne mal etwas Kokosmilch nippt. Auf diese vielen Eindrücke gönnen wir uns erst einmal eine Sauna. Am nächsten Morgen haben wir nun alles zusammen, um unserem Gastgeber ein Stück deutscher Kultur anhand eines ordentlichen Frühstücks, welches scheinbar im Rest der Welt nicht so wertgeschätzt wird, nahezubringen: Aromatischen Kaffee aus der Region, frischer Käse von der Farm, ein ordentliches Stück Wurst vom Markt, frisch gebackene Vollkornbrötchen vom Alnatura Supermarkt um die Ecke, Marmelade aus Waldfrüchten, gekrönt von einem weichgekochten Ei mit einer Prise Salz. Wir haben unser Bestes gegeben, um stark in den Tag zu starten.
Leo hat sich für den heutigen, verregneten Tag kurzerhand das Auto seines Vaters geliehen, um mit uns in die geschichtsträchtige, einhundert Kilometer entfernte Stadt Ouro Preto zu fahren. Dort angekommen versucht Leo uns für die Bauwerke, Kirchen und alten Kopfsteinpflasterstraßen zu begeistern. Zugegeben, für das junge Brasilien mag das beeindruckend sein, aber wer die Architektur alter deutscher oder italienischer Städte kennt, wird hierfür nur mäßig zu begeistern sein. Hübsches Städtchen, aber mir ein bisschen zu steil, fasst Nino den Tag treffend zusammen. Warum so viele Touristenmassen nach Ouro Preto strömen, ist mir gänzlich schleierhaft. Es ist halt eine Stadt, von denen es ohnehin viel zu viele auf der Welt gibt.
Tags darauf wird es interessanter, als wir, diesmal auf den drei bepackten Bikes, aus der Tiefgarage rollen und die Nase nach Nordosten richten. Dorthin wo der bekannte “Cerra do Sipo” Nationalpark seine grünen, bergigen Wurzeln in die Erde schlägt und seine vielen Wasserfälle zwischen dem Sattgrün in die Tiefe stürzen. Leo hat irgendeinen seiner unzähligen Freunde angehauen und nach kurzem Telefonat
dessen Ferienhaus für uns organisiert. Nach einer schönen kurvigen Tagestour kommen wir gegen Nachmittag dort an und sind überwältigt von der schönen Lage. Es dauert allerdings eine Weile bis wir das Häuschen gefunden haben. Es scheint etwas her zu sein, dass unser Gastgeber zuletzt hier war und er muss sich erst durch die Dorfbewohner durchfragen bis er schließlich jemanden findet, der sich auskennt und uns den Weg weist. Karte, Kompass oder GPS kennt Leo innerhalb Brasiliens nicht, er fährt nach Bauchgefühl. Am Rand eines gemütlichen Örtchens liegt es schließlich in völliger Abgeschiedenheit mit einem weiteren kleinen Häuschen umgeben von Palmen da. Einen kleinen Pool hat es und einen schönen Grill, ganz zu schweigen von der Küche und den weichen Betten. Mit Leo zu reisen ist auf jeden Fall sehr angenehm und vor allem unschlagbar günstig.
Wir fahren mit der Sonne los und zeigen den Einheimischen endlich mal wieder was Schräglage bedeutet und wie weit so ein Reifen tatsächlich in die Kurve gedrückt werden kann. Gegen die zwei deutschen Heizer ist kein Gras gewachsen und obwohl reger Verkehr auf der wunderbar asphaltierten Traumstrecke herrscht und wir hier zum ersten Mal fahren (wohlgemerkt mit Sozia), traut sich keiner heran, mit dem
man mal eine kleine Kurvenhatz veranstalten könnte. So führen der Nino und ich das Feld an bis Leo uns bedeutet links auf einen Erdpfad abzubiegen. Wir genießen den ganzen Tag an einem relativ leicht zu erreichenden, aber gänzlich verlassenen Wasserfall. Nach Herzenslust wird geklettert, getaucht, geschwommen und hinter dem Wasserfall die Kraft des Wassers bewundert. Ein Plätzchen ganz
wie wir es uns vorgestellt haben. Es ist ein Genuss an diesem heißen wolkenlosen Tag. Auf dem Weg am Nationalpark vorbei fällt eine sitzende Statue im Augenwinkel auf. Wir biegen ab und stoppen die Bikes. Leo erzählt uns die Geschichte dieses sanften Riesen mit seinem kindlichen Rundgesicht. Es handle sich um einen in der ganzen Gegend bekannten Wandersmann. Er habe hier von der Natur gelebt und sich an den einfachen Dingen erfreut. Er sei all die vielen schönen Wege und Pfade entlanggetrottet und habe am Wegesrand Blumen für die jungen Mädchen gesammelt, denen er damit stets eine Freude machen konnte. Sein einfacher, aber gütiger Geist stehe sinnbildlich für die Menschen dieser Region und weil sie sich ihm so verbunden gefühlt haben, haben sie dem Wandersmann dieses Denkmal errichtet. Eine Erinnerung an die simplen Freuden im Leben. Die Geschichte passt irgendwie auch zu unserem einsamen Motorradfahrer, den wir so einfach und glücklich auf der Straße in Chile getroffen haben. Ob unser Leo sich als Seelenverwandten sieht, kommt er doch ursprünglich aus dieser Gegend.
Als wir dachten, den Höhepunkt hätten wir schon hinter uns, feuert Leo den Grill an und zaubert auf einem simplen Holzkohlefeuer und dem kleinen Grill, der die besten Jahre schon lange hinter sich hat, drei Rindersteaks wie sie keiner von uns je zuvor gekostet hat. Ein derartiges Gedicht von Saftigkeit, Würze, Geschmack ist bis dato und wahrscheinlich für lange Zeit ungeschlagen. Das beste Fleisch, welches wir je verspeisen durften, ist keinesfalls übertrieben. Leo beweist immer wieder, dass viel mehr in ihm steckt, als er oft raushängen lässt. Noch über die gesamte Reise muss sich jedes Essen mit diesem Abend als kulinarischem Vergleich messen. Nichts hält stand und es wird täglich von diesem Fleisch geschwärmt. Noch beim Schreiben läuft mir das Wasser im Mund zusammen.
Wir begeben uns auf den letzten gemeinsamen Weg zurück in die Hauptstadt, Leos Heimat. An diesem Abend steht noch ein besondere Bekanntschaft ins Haus. Wir treffen uns mit Leos Vater Markus. Er lädt uns in ein Restaurant in der Nähe seines Appartements im neuen Luxusviertel Belo Horizontes hoch oben auf den Hügeln ein. Hier macht die Stadt des “Schönen Horizonts” ihrem Namen alle Ehre. Wir nehmen Platz an der bereits angerichteten Tafel und verfallen sofort ins Gespräch. Markus ist einer dieser Menschen, die viel gesehen haben von der Welt. Als Geschäftsmann im Baugewerbe ist er nicht nur beruflich sondern auch finanziell in der Lage, viele Orte zu bereisen. Es funkt sofort zwischen uns. Wir schneiden viele Themen an und zu allem wissen wir Erfahrungen auszutauschen. Bei dem Reisen schließlich bleiben wir stehen und tauschen uns über die schönen Orte dieser Welt und die kleinen Details der verschiedenen Kulturen aus als wären wir schon lange zusammen unterwegs. Deutschland hat es dem Geschäftsmann im Ruhestand besonders angetan und er schwärmt von den Vorzügen der Münchner Hotels, den Bergen in unserem Süden und natürlich der Deutschen Braukunst. Ein bisschen wehleidig werden besonders Joana und ich, da man die Qualität der Heimat tatsächlich erst nach langem Aufenthalt im Ausland wahrnimmt und vermissen lernt. Nino hat es da leichter, da er bald wieder zurückkehrt. Wir verabschieden uns von Leos Vater mit einer Einladung uns im schönen Haunetal besuchen zu kommen. Es ist ein schöner Gedanke die ganze Runde mal als Gastgeber begrüßen zu dürfen, anstatt immer nur zu Gast zu sein. Wer weiß, wer nach der Tour so alles zu Besuch kommt bei uns in Wehrda oder daheim in Wetzlos. Nach den wichtigsten Einkäufen für die Fahrt und einem ausführlichen Frühstück brechen wir am nächsten Morgen auf. Unser Gastgeber ist ziemlich niedergeschlagen, als er uns die Hand gibt. Auch wir wären gerne länger geblieben. Er hat noch viele Pläne gehabt, wie er uns erzählt, doch müssen wir leider weiter, um mit Nino auch noch die Küste genießen zu können bevor es für ihn wieder zurück ins Kalte geht. Leo sieht uns noch lange hinterher. Als wir zwei Blocks weiter in eine Seitengasse biegen, steht er immer noch auf der Straße und schaut uns hinterher. Es war eine schöne Zeit.
Über viele kleine Sträßchen mit vielen großen Ausblicken schrauben wir uns kurvig gen Küste. Drei Tage nehmen wir uns Zeit von Belo Horizonte über die Felder und Wälder Minas Gerais und schließlich durch die Küstengebirgslandschaft bis ins wohlbekannte Paraty vorzudringen. Angekommen in unserer zweiten Heimat hier in Brasilien werden wir sogleich von den alten Verdächtigen auf unserem
Campingplatz in die Arme geschlossen. Diesmal unterbietet sich der Chef wieder selbst mit dem Preis. Nino kann es kaum glauben wie herzlich wir hier willkommen geheißen werden. Die letze Woche wird ein Genuss ganz in entspanntem brasilianischem Stil werden.
Das erste, was Nino sich nach kurzer Einführung durch unseren Gesundheitsapostel des Campingplatzes, Moses, aneignet ist das Mischen frischer Fruchtsäfte. Im Handumdrehen kennt man ihn nur noch als den Saftmann. Zu jeder Gelegenheit kreiert er etwas neues in die Gläser der Camper. Innerhalb kürzester Zeit entspannt sich wieder das altbekannte Familiengefühl des Campingplatzes und jeder hat seinen Platz hier gefunden. Nino und ich sind die Sportcoaches. Wenn wir nicht gerade mit dem Kayak
vom Chef um die naheliegenden Inseln paddeln, motivieren wir die Kollegen mit uns an den Strand zu kommen und den Beachvolleyball fliegen zu lassen. Es ist einfach schön seinen Bruder bei sich zu haben. Es wird nie langweilig. Nachdem wir an Ninos Geburtstag den höchsten Berg des hiesiegen Küstengebirges bestiegen haben, wird des Abends ordentlich gespeist. Mit sieben Nationen sitzen wir am Tisch und teilen, was wir gekocht haben. Brasilien, Argentinien, Israel, Mexiko, Schweiz, Frankreich und Deutschland tauschen auf Englisch die Schwärmereien von unserem heutigen Aufstieg auf den Gipfel, die Rezepte der verschiedenen Speisen oder die neuen Geschichten des Tages aus. Ein Traum von Zusammenhalt und Freundschaft trotz der vielen Unterschiede. Es ist ein Abend, den keiner so schnell vergessen wird.
Eines weiteren denkwürdigen Abends gehen wir auf eine spontane Idee unseres Mexikaners, dem Ledermann, auf die Sambanacht am örtlichen Marktplatz. Was sich uns dort bietet, ist kaum in Worte zu fassen und in Bildern schon gar nicht einzufangen. Ein Dutzend verschiedene Trommeln der unterschiedlichsten Klänge und Spielweisen vereinen sich in einem akkuraten Rhythmus mit dem melodischen Gesang zweier Sängerinnen und dem tiefen Bass dreier Sänger. Dazu kommt das scheinbar wilde, doch bei genauerem Hinhören doch passende Geklacke und Geklicke verschiedener kleiner Holzmuscheln und Metallglocken, welche von den umstehenden Vortänzern gespielt werden. Zur Abrundung das Klatschen, Rufen und rhythmische Stampfen der Tänzer und Tänzerinnen, welche zu hunderten auf dem ganzen, schummrig beleuchteten Platz verteilt sind. Wir sind mittendrin. Schwingen die Beine so gut es geht, während wir versuchen die uns umgebenden Menschen nachzuahmen. Nach kurzer Zeit gehen wir einfach im Rhythmus unter und bewegen uns wie ferngesteuert. Wir sind ein Teil der wogenden und lachenden Masse, während uns die Musik immer schneller und immer lauter vorwärts treibt. Samba, das ist hier etwas, was man nicht nachvollziehen kann bevor man nicht in solch einer wogenden Masse von wild tanzenden Verrückten untergegangen ist. Wir genießen es bis tief in die Nacht, wenn alle Uhren schon stehengeblieben zu sein scheinen und die Beine schwer wie blei den Heimweg finden.
Bevor wir nun den Heimweg ins schöne Rio antreten, bekommen wir unerwartet noch Besuch eines inspirierenden Weltreisenden, der im Besonderen Nino mit seinen einfachen aber interessanten Reisegeschichten mitreißt. Pascal mit seinem Bike kommt nochmal aus Sao Paulo vorbei, bevor er von dort aus diesen Kontinent endgültig Richtung Afrika verlässt. Wir trafen ihn des Öfteren in Patagonien und Feuerland,
um uns in Ushuaia schließlich von ihm und seinem Fahhrad zu verabschieden. Wie es doch der Zufall will, sind wir uns doch noch einmal nah genug, um uns zu treffen. Er erzählt viel von seinem Weg durch Nordamerika und seiner Tour durch die Weiten Asiens. Ganz besonders die kulinarischen Ausflüge, die wir mit ihm an unseren letzten Abenden unternehmen, begeistern den ganzen Campingplatz. Wir kochen Reis
in ausgehöhlten und zugeschnittenen Bambusstangen, präparieren den frisch gefangenen Fisch vom Markt nebenan, holen die Kokosnüsse von Nachbars Baum und öffnen sie mit dem Taschenmesser, um ihren erfrischenden Inhalt zu genießen. Leben von der Natur könnte man die Experimente nennen, die wir gemeinsam ersinnen. Einen letzten Schliff für Afrika kann ich ihm noch anhand ein paar gut gemeinter Tipps mitgeben, bevor er uns nach Süden und wir die Familie nach Norden verlassen. Wir können die Erlebnisse hier zum Abschluss unserer kleinen Brasilien Rundtour nur als großartig bezeichnen. Ich bin mir sicher Nino nimmt viele Eindrücke und Ideen mit nach Hause. Er scheint mir sehr nachdenklich auf dem Weg zu unseren Freunden nach Niteroi. Es hat ihn wieder etwas angesteckt, das Weltreisefieber.
Wie es angefangen hat, so endet es. Zwei schwer gerüstete Biker fallen sich am Flughafen in die Arme und lassen sich lange Zeit nicht los. Viele wunderbare Erinnerungen liegen zwischen diesem Empfang und dem Abschied. Den Helm unterm Arm, als wollte er nach Hause fahren, stapft Nino durch die Sicherheitskontrolle und verschwindet in den Wirren der vielen Touristen.